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Pressemitteilung

Was sagen unsere amerikanischen Freunde zu TTIP?

ÖDP-Landkreistreffen: TTIP aus amerikanischer Sicht

Rege Diskussionen gab es beim jüngsten Landkreistreffen der ÖDP in Traunreut, zu der Kreisvorsitzender Kauer Mitglieder aus dem ganzen Landkreis begrüßen konnte. Als Schwerpunkt des Abends stellte Kreisrätin Dr. Ute Künkele eine Präsentation aus Amerika zum Freihandelsabkommen TTIP vor. Grundlage ihres Berichts war ein Vortrag von Prof. emer. Dr. jur. Vincent M. Brannigan von der Clark School of Engineering der University of Maryland (USA), gehalten am 8. Juni 2015 an der "TEAM Stronach"-Akademie in der Wiener Hofburg.

Kern der Ausführungen des Vortragenden, der u. a. „Consumer Law“ (Verbraucherrecht) lehrt, sei, so Künkele, die in Europa kaum bekannte Tatsache, dass in den Vereinigten Staaten von einem Binnenmarkt im europäischen Sinne nicht die Rede sein könne. In Europa sei ein Produkt, das in einem Staat zugelassen ist, überall in der EU verkäuflich; der freie Warenverkehr könne durch keine nationalen Regelungen behindert werden.

In den USA sei die Situation völlig anders: Wer europäische Waren in die USA exportieren will, müsse zunächst feststellen, in welchen Staaten oder gar Regionen der Verkauf seines Produkts erlaubt sei. Dies gelte sogar für Waren, deren Einfuhr von der amerikanischen Bundesregierung genehmigt ist.

So fordere zum Beispiel der Bundesstaat Maryland im Gegensatz zu anderen Staaten die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte und New York reguliere den Verkauf aromatisierter Tabakwaren. Für den Transport, die Einfuhr oder den Besitz von Alkohol gebe es eine Fülle unterschiedlich Regelungen. Benötige der Exporteur zur Durchsetzung seines Anspruchs einen Rechtsanwalt, so müsse dieser in dem jeweiligen Staat zugelassen sein. Ähnliche Vorschriften gelten für Ärzte, Ingenieure, Installateure, Elektriker und Sozialarbeiter.

Die Kreisrätin betonte, aus Professor Brannigans Ausführungen gehe hervor, dass insbesondere die Bereiche Nahrungs- und Genussmittel, Grenzwerte, Produkthaftung und Versicherungen betroffen seien, also in erster Linie die Landwirtschaft und der Verbraucher. Sie frage sich, ob „unsere Exporteure vielleicht in Arizona, Kalifornien und New Mexico separate Anwaltskanzleien beauftragen müssen, um ihre Rechte einzuklagen“ und warnte vor einer unübersehbaren Verstrickung in juristische Scharmützel. Zur Verdeutlichung fügte Künkele das Beispiel eines Weinbauern aus Kalifornien an, der überall in der EU seinen Wein verkaufen kann, ein fränkischen Winzer dagegen kann sein Produkt, unter Umständen nur in einem Bundesstaat vermarkten.

In den USA gebe es also einheitliche Produkt- und Dienstleistungsregeln in Bereichen, für die US-Bundesbehörden zuständig seien, doch machten diese nur einen kleinen Teil der gesamten Wirtschaft aus. Für viele Dinge sei Washington überhaupt nicht zuständig

Wer kann also auf welcher Basis mit Europa verhandeln?

Frau Dr. Künkele stellte als Fazit fest: Auf Grund der bisher bekannt gewordenen Verhandlungsergebnisse stellt sich die Frage, ob diese Rechtslage der USA entsprechend berücksichtigt wird. Schon jetzt gebe es ein großes Kompetenzgerangel zwischen Kongress, Supreme Court und den einzelnen Bundesstaaten. Kaum vorzustellen, so die Kreisrätin, was geschehen würde, wenn nun auch noch eine „Phalanx von Juristen bezahlt werden muss, die in jedem einzelnen Staat europäische Ansprüche durchsetzen möchte.“

In der anschließenden Diskussion machte Bruno Siglreitmaier deutlich, dass ein vernünftiger Freihandelsvertrag zwischen den USA und der EU zumindest solange nicht zustande kommen könne, wie innerhalb der 50 US-Bundesstaaten völlig widersprüchliche Regeln bestünden, die obendrein vielfach auch noch mit den Bundesgesetzen aus Washington konkurrierten.

Als eines der bekanntesten Beispiele der unterschiedlichen Gesetzeslagen wies er darauf hin, dass manche US-Staaten die Todesstrafe hätten, während andere sie ablehnten. Die Bemühungen einiger bundesstaatlicher Justizbehörden, Giftmischungen aus Europa zu importieren, seien aber glücklicherweise von den entsprechenden Firmen zurückgewiesen worden.

Georg Huber aus Waging, der energiepolitische Sprecher der ÖDP, zeigte sich über die förderal aufgebaute Wirtschaftsregelung in den USA überrascht. "Ich finde es interessant, wie der Förderalismus in den USA aus seiner langen Tradition heraus Einfluss in den Aufbau der Regierungsinstitution gemacht hat" so Huber. Der Föderalismus beinhalte als Grundregel eine Politik der Dezentralisierung, die bei der Ausgestaltung von Politik und Verwaltungsrecht Einfluss nehmen muss. Dadurch werde garantiert, dass die Interessen der Bundesebene immer nur dann beachtet werden, wenn die Bundesebene auch tatsächlich betroffen ist.

"Dieser Grundgedanke entspricht doch ganz den Ideen der ÖDP und sollte auch in der europäischen Politik wieder viel mehr Beachtung finden", so der Waginger Gemeinderat weiter. Aber viele Befürworter von TTIP wissen wohl noch gar nicht, dass die Wirtschaftspolitik in den USA förderal aufgebaut ist und einzelne US-Bundesstaaten nicht verpflichtet sind, ein Produkt zuzulassen, nur weil es in anderen Staaten der USA bereits verkauft wird“, so Huber weiter.

Ganz aktuell wies Herr Kauer noch auf einen Artikel im Handelsblatt vom 18. Juli dieses Jahres hin, dort fordert Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem Protestschreiben an die US-Regierung, dass nicht nur Regierungsbeamte, sondern alle Bundestagsabgeordneten Einblick in die Verhandlungsdokumente zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP bekommen müssen. „Wir unterstützen hier ausdrücklich unseren Bundestagpräsidenten, da ein direktes Informationsrecht für unsere Abgeordneten wohl nur eine Minimalforderung von der 2014 vereinbarten Zusage sei, größere Transparenz walten zu lassen“, so der ÖDP-Kreisvorsitzende weiter. Für ihn stehe auch fest, dass Deutschland zum ersten Mal, vielleicht auch zum zweiten Mal nach den Notstandsgesetzen, vor der Frage steht, ob das Widerstandsrecht des Grundgesetzes zur Anwendung gelangen kann, da es bei den TTIP-Verhandlungen um nicht weniger als um die Grundlage unseres Staatswesens gehe.

Zum Abschluss des Abends bedauerte Kauer, der auch Vorsitzender des Bundesarbeitskreises Demokratie, Außenpolitik und Europa der ÖDP ist, dass sich in der Öffentlichkeit alles nur um TTIP drehe, wo doch das CETA, das vergleichbare Abkommen mit Kanada, bereits ausverhandelt sei und eventuell im Herbst ratifiziert werden soll. „Dieses Abkommen“, so Kauer, „hat die gleichen Fallstricke wie TTIP, und viele amerikanischen Konzerne brauchen wohl TTIP gar nicht mehr, denn auf Grund ihrer Verflechtungen können sie mit CETA schon das gleiche erreichen,“ so der Kauer.

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